Nachhaltige Entwicklung und Langzeitvisionen der Science Fiction

Zukunftsvisionen

Vielen Science-Fiction-Fans fällt es schwer, dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung Begeisterung entgegenzubringen. Das alles scheint wenig glanzvoll; was sind schon Windkraftanlagen, Solarfassaden, Stadtbahnsysteme und all das im Vergleich zu Raumkreuzern und Ringwelten? Irgendwie Kleinkram. Man bekommt manchmal gar die bangen Worte zu hören, „Wir sollen also Lebewohl sagen zu unseren schönen Zukunftsträumen von interstellarer Expansion und alledem und uns um irdische Probleme wie Energiewende und Effizienzrevolution kümmern?“

Nein, davon sagt kein Mensch etwas. Die Frage „Nachhaltige Entwicklung oder interstellare Expansion?“ ist völlig falsch gestellt. Nachhaltige Entwicklung einerseits und die Langzeitvisionen der Science Fiction andererseits schließen einander keineswegs aus, im Gegenteil: die erstere ist vielmehr die Grundvoraussetzung für die anderen.

Zivilisation oder interstellare Heuschreckenplage?

Zunächst einmal erscheint eine nicht-nachhaltige interstellare „Zivilisation“ nicht allzu wünschenswert. Sollen wir wirklich viele Planeten ausplündern statt „nur“ einen? Eine Gesellschaft, die weiterzieht, wenn sie wieder einmal einen Planeten verschlissen hat, ist wohl kaum der Bezeichnung „Zivilisation“ würdig. Sie ist eher eine Art interstellarer Heuschreckenplage. Wenn die Menschheit diesen Weg beschreitet, begibt sie sich in die Fußstapfen der Aliens aus Independence Day. In diesem Film gibt es eine kleine, stille Szene, die die meisten Zuschauer wahrscheinlich glatt übersehen haben, in der aber gesagt wird, warum die Aliens ihre Raubzüge unternehmen: sie haben nie gelernt, nachhaltig mit natürlichen Resourcen umzugehen, deshalb ziehen sie durchs All, eine Spur von geschundenen Welten hinterlassend. Ist ein Planet verbraucht, kommt der nächste dran. Sie können auch, als sie die Erde erreichen, nicht einfach weiterziehen, sondern müssen sich hier niederlassen. Denn an Bord ihrer Raumschiffe drohen sie akut in ihrem eigenen Unrat zu verenden. Sie haben halt nie gelernt, mit Ökosystemen richtig umzugehen. Wer bitteschön möchte das wirklich?

Aber es deutet einiges darauf hin, dass das nicht geschehen wird. Die Alternative scheint vielmehr zu lauten: Entweder lernen wir, nachhaltig mit den Resourcen umzugehen, die die Natur uns bietet, dann winkt uns vielleicht eines Tages die große Belohnung in Form der Möglichkeit, uns im Universum auszubreiten (was aber auch wiederum ethische Fragen aufwirft: ist das überhaupt vertretbar?). Oder wir lernen es nicht, und wir werden mit unserem Planeten untergehen, ohne eine Chance, ihn zu verlassen und anderswo Unheil anzurichten.

Ökosystem-Engineering und interplanetare Expansion

Gelegentlich erheben sich Stimmen, die davon schwadronieren, unsere geschundene Erde zurückzulassen und woanders neu anzufangen. Aber das ist ein Luftschloss. Diese Option haben wir nicht. Denn die Voraussetzung für jede interplanetare oder interstellare Expansion, so scheint es, ist die sichere Beherrschung des Ökosystem-Engineering. Damit ist die künstliche Einrichtung von dauerhaft stabilen Ökosystemen gemeint. In unserem Sonnensystem gibt es außerhalb der Erde nirgendwo ein Ökosystem, das in der Lage wäre, Menschen dort leben zu lassen. Mag sein, dass es tief im Marsboden oder unter der Eiskruste des Jupitermondes Europa Leben gibt. Menschen können dort jedenfalls nicht leben. Jede Kolonie im Sonnensystem erfordert also ein künstliches Ökosystem, eine Miniaturausgabe der irdischen Biosphäre. Bislang ist solches noch nicht gelungen. (Das Biosphere 2-Experiment war ein Fehlschlag. Das künstliche Ökosystem konnte sich nicht halten.)

Der Gipfelpunkt des Ökosystem-Engineering wäre das Terraforming eines ganzen Planeten, wie es wiederholt für Mars vorgeschlagen worden ist. (Wenn es einen Planeten in unserem Sonnensystem gibt, der sich überhaupt terraformen lässt, dann ist es Mars.) Und selbst wenn es irgendwo Planeten gäbe, deren Ökosysteme uns Menschen mit allem versorgen könnten, was wir zum Leben brauchen, so müssten wir sie zunächst einmal erreichen. Dazu sind große, für lange Reisen gebaute und vor allem autarke Raumschiffe erforderlich, die wiederum Ökosystem-Engineering voraussetzen.

Wahrscheinlich aber weichen alle außerirdischen Biosphären zu stark von der irdischen ab, um irdische Siedler ohne weiteres mit Atemluft, Nahrung und Trinkwasser zu versorgen. Denn menschliches Leben hängt von sehr vielen, zum Teil noch nicht ausreichend bekannten Detailfaktoren wie Vitaminen und Spurenelementen ab; auch stellt sich die Frage, ob das fremde Ökosystem menschliche Eingriffe überhaupt verkraftet. Nur wer sicher und vorausschauend mit Ökosystemen aller Art umzugehen weiß, hat überhaupt die Chance, außerhalb seiner Heimatwelt zu überleben. Und es scheint nur einen Weg zu geben, den Umgang mit Ökosystemen zu erlernen, nämlich zu einem Einklang mit der einzigen Biosphere zu gelangen, die wir kennen: derjenigen hier auf der Erde.

Es führt also kein Weg darum herum: Wir müssen zuerst die Dinge bei uns zu Hause in Ordnung bringen, bevor wir uns anderswo niederlassen können. Man kann es drehen und wenden wie man will: nachhaltige Entwicklung ist unabdingbare Voraussetzung für alle Langzeitperspektiven.

Die Tatsache, dass nur einer nachhaltig lebenden Zivilisation langfristige Entwicklungsperspektiven offenstehen, gibt uns auch eine relativ große Sicherheit, dass wir niemals selbst Opfer einer interstellaren Heuschreckenplage wie in Independence Day werden. Überhaupt erscheint eine Alien-Invasion in diesem Licht unwahrscheinlich. Denn eine entsprechend disponierte Gesellschaft käme gar nicht so weit, uns zu unterjochen oder auszurotten. Sie würde lange vorher schon sich selbst zugrunde richten.

Eine Typologie der Langzeitvisionen

In seinem 1983 verfassten Aufsatz Modelle der Evolution kosmischer Zivilisationen (russ. Modeli evoljucij kosmičeskix civilizacij) , der 1984 dankenswerterweise vom Heyne Science Fiction Magazin in einer deutschen Übersetzung veröffentlicht wurde, entwickelte der russische Autor L. V. Leskov eine bemerkenswerte Typologie von Langzeitvisionen. Leskov sieht im wesentlichen sechs prinzipielle Entwicklungsmöglichkeiten, die sich jenseits des Punktes ergeben, an dem die Technologie die Grenzen des physikalisch Möglichen erreicht:

  1. Allmählicher Rückschritt und Untergang der Zivilisation.
  2. Aufkommen eines „Paradieses der Ansprüche„, d.h. eines stationären Zustandes, in dem alle Bedürfnisse befriedigt sind, und keine weitere Entwicklung mehr erfolgt, weil kein Bedarf mehr dafür besteht. Leskov hält einen solchen Zustand für extrem unwahrscheinlich, und das wahrscheinlich zu Recht. Die Befriedigung von Bedürfnissen weckt neue Bedürfnisse; es entsteht eine komplexere Gesellschaft, die immer wieder in Ungleichgewichte gerät und sich daraus weiterentwickelt.
  3. Autoevolution intelligenten Lebens, d.h. gezielte Weiterentwicklung der Selbstorganisationsprozesse desselben.
  4. Metawissenschaftliche Evolution, d.h. die technologischen Entwicklungsmöglichkeiten werden durch Paradigmenwechsel erheblich über das gegenwärtig Absehbare erweitert.
  5. Kosmokreatik, d.h. die Umstrukturierung der materiellen Realität in großem Maßstab (Bau künstlicher Planetensysteme, Dyson-Sphären, usw.).
  6. Integration verschiedener kosmischer Zivilisationen in einer Metazivilisation.

Dabei stellen die Szenarien Nr. 3 bis 6 keine einander ausschließenden Alternativen, sondern untereinander kompatible Optionen dar, die in beliebiger Kombination zugleich eintreten können und einander befördern.

In welchem Verhältnis stehen nun diese Langzeitvisionen zu dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung? Zunächst ist es natürlich offensichtlich, dass eine nicht-nachhaltige Entwicklung zwangsläufig zu Verfall und Untergang führt, weil die Gesellschaft ihre Lebensgrundlagen zerstört. Damit ist nachhaltige Entwicklung Voraussetzung für alle anderen Alternativen. Ohne Nachhaltigkeit gibt es keine Autoevolution, keine Kosmokreatik, keine metawissenschaftliche Evolution und keine Metazivilisation.

Metazivilisation – Imperium oder Föderation?

Wie wird eine künftige Metazivilisation aussehen? Es sind zwei verschiedene grundsätzliche Typen einer Metazivilisation denkbar: sie kann ein Imperium sein, in der ein Machtzentrum eine Peripherie beherrscht, oder eine Föderation, also ein Zusammenschluss gleichberechtigter Partner. Diese beiden Typen der Integration von Gesellschaften entsprechen zwei gegensätzlichen Grundprinzipien der sozialen Organisation: das Imperium dem Prinzip der Unterordnung, die Föderation dem Prinzip der Gleichberechtigung. Innergesellschaftlich entspricht dem Prinzip der Unterordnung die Autokratie, dem der Gleichberechtigung die Demokratie.

Von daher sind autokratische Imperien und demokratische Föderationen in sich konsistent, während demokratische Imperien und autokratische Föderationen in sich widersprüchlich sind und niemals längere Zeit Bestand haben können – der Widerspruch drängt unweigerlich zur Auflösung. So war die Auflösung der europäischen Kolonialreiche nach dem Zweiten Weltkrieg eine zwingende Konsequenz der Demokratisierung der Kolonialmächte: die imperiale Herrschaft über die Kolonien stand in einem eklatanten Widerspruch zur sich entwickelnden Demokratie in den Mutterländern und musste daher aufgegeben werden. Umgekehrt führt eine autokratische Herrschaft in einem formal als Föderation konstituierten Gebilde zur faktischen Herausbildung eines Imperiums, wie am Beispiel der Sowjetunion zu erkennen ist.

Eine Metazivilisation wird also, langfristig betrachtet, entweder ein autokratisches Imperium oder eine demokratische Föderation darstellen. Eine autokratische Herrschaft aber ist, zumindest was menschliche Gesellschaften betrifft, mit dem Prinzip der Nachhaltigkeit unvereinbar. Autokratie führt unweigerlich zu einer Bereicherung der Eliten auf Kosten der Beherrschten und damit zu wachsender Unzufriedenheit der letzteren. Es entstehen soziale Spannungen, die das System auf Dauer destabilisieren. Sie häuft auf der einen Seite Reichtum an, erzeugt aber auf der anderen Seite Armut, und blockiert die Entwicklungsmöglichkeiten der Beherrschten, aber auch der gesamten Gesellschaft, da sie gesellschaftliche Kontrollmechanismen ausschaltet und Erstarrung fördert. Nachhaltige Entwicklung ist nur in einer Demokratie möglich; autokratische Systeme tragen den Keim ihres eigenen Scheiterns in sich.

Wir wissen zwar nicht, ob das oben genannte Kriterium – Demokratie als Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung – auch auf andere intelligente Lebensformen zutrifft, doch erscheint das Gegenteil schwer vorstellbar. Echte Intelligenz und Kreativität sind wahrscheinlich untrennbar mit Selbstwahrnehmung und Willensfreiheit verbunden. Das bedeutet, dass jede Gesellschaft intelligenter, kreativer Lebewesen ihre Entwicklungsmöglichkeiten optimal nur in einem System entfalten kann, das auf Freiheit, Gleichberechtigung und solidarischem Zusammenhalt gegründet ist.

Aus diesen Gründen kann eine Metazivilisation auf Dauer nur die Form einer Föderation haben. Eine Zivilisation, die lange genug überleben will, um in eine Metazivilisation einzugehen, muss eine demokratisch-föderative Gesellschaftsform entwickeln. Sie würde sich in Widersprüche verstricken, wollte sie versuchen, eine imperiale Herrschaft über andere Zivilisationen zu errichten. Ein solches „demokratisches Imperium“ hätte nur drei Entwicklungsoptionen: Zerfall des Imperiums, Umwandlung des Imperiums in eine Föderation oder Umwandlung der Gesellschaftsstruktur des Hegemonen in eine Autokratie; letzteres würde letztendlich den Niedergang des Hegemonen und damit den Untergang des Imperiums bewirken, weil keine nachhaltige Entwicklung mehr möglich wäre.

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