Dekarbonisierung der Industrie

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Nicht nur Strom- und Wärmeerzeugung sowie der Verkehr, sondern auch viele Industrieprozesse setzen CO2 frei. Die Industrie ist in etwa für ein Viertel der globalen CO2-Emissionen verantwortlich. Besonders CO2-intensiv sind die Stahlerzeugung, wo bislang Kohle als Reduktionsmittel (d.h., um dem Eisenerz den Sauerstoff zu entziehen) verwendet wird, die Zementindustrie, in der CO2 aus Calciumcarbonat (Kalkstein) freigesetzt wird, sowie die chemische Industrie, die stark vom Erdöl und Erdgas sowohl als materieller Basis als auch zur Erzeugung der Prozesswärme abhängt. Zusammen tragen diese drei Wirtschaftszweige zu rund zwei Dritteln der CO2-Freisetzung aus industriellen Prozessen bei.

Metallurgie: Wasserstoff und Strom statt Kohle

Derzeit wird Roheisen, der Ausgangsstoff für die Stahlerzeugung, zumeist in Hochöfen gewonnen, in denen das Eisenerz mit Kohle reduziert wird, wobei sehr viel CO2 entsteht. Ein Teil des Kohlenstoffs löst sich dabei im Eisen und wird im Konverter zur Stahlherstellung ausgetrieben, wobei ebenfalls CO2 freigesetzt wird, indem der im Roheisen gelöste Kohlenstoff verbrannt wird.

Ein neueres Verfahren zur Gewinnung von Eisen aus Eisenerz ist die Direktreduktion, bei dem statt Kohle Wasserstoff als Reduktionsmittel eingesetzt wird. Das Verfahren erfordert auch nicht so hohe Temperaturen wie der konventionelle Hochofen, da die kleinen Wasserstoffmoleküle in die Erz-Pellets eindringen können und somit das Erz nicht geschmolzen werden muss. Die Reaktion findet bei 600 °C im festen Zustand ab (wogegen die Schmelze im Hochofen 1500 °C heiß ist), es muss also weniger Energie zum Erreichen der Betriebstemperatur aufgewandt werden. Vor allem ist das Verfahren CO2-neutral, da statt CO2 nur Wasser entsteht (sofern „grüner“ Wasserstoff, also Wasserstoff aus der Wasserzerlegung mittels erneuerbarer Energien eingesetzt wird, siehe „Woher kommt der Wasserstoff?“). Auch die Weiterverarbeitung des Eisens zum Stahl kann CO2-neutral in einem Lichtbogenofen erfolgen.

Neben der Direktreduktion bietet auch die Elektrolyse eine Möglichkeit, Metalle aus Erzen zu gewinnen, ohne CO2 freizusetzen. Ähnlich wie Wasser lassen sich auch geschmolzene Erze mittels ektrischen Gleichstroms in ihre Bestandteile zerlegen, so dass an der Kathode Metall und an der Anode Sauerstoff entstehen. Bei Leichtmetallen wie Aluminium, in deren Erzen der Sauerstoff besonders fest an das Metall gebunden ist, ist dies schon längst das übliche Verfahren. Manche Metalle, wie etwa Kupfer, lassen sich sogar bei niedrigen Temperaturen durch Elektrolyse einer wässrigen Lösung gewinnen, die durch Auflösen des Erzes mittels einer Säure hergestellt wird. Dies spart gegenüber heißmetallurgischen Verfahren sehr viel Energie, da die Wärmeerzeugung wegfällt.

Beton neu erfinden

Beton ist das heutzutage am meisten verwendete Baumaterial. Er ist praktisch und billig – aber leider wenig umweltfreundlich, denn bei der Herstellung des Zements, des Hauptbestandteils, aus Kalkstein (Calciumcarbonat) und Ton wird viel CO2 freigesetzt – ca. 600 kg pro Tonne Zement. Die CO2-Freisetzung lässt sich etwas senken, indem man den bei 1400 °C arbeitenden Zementofen mit erneuerbaren Energien (wie etwa grünem Wasserstoff) beheizt und das bei der Zersetzung des Kalksteins freigesetzte CO2 abscheidet, um es als Rohstoff zu verwenden (siehe „CO2 ist Rohstoff„).

Eine Alternative sind Geopolymere, Silikatverbindungen, die sich bei Wasserzugabe vernetzen, und einen um 80 Prozent kleineren CO2-Fußabdruck aufweisen als Portlandzement. Sie sind auch chemisch widerstandsfähiger als herkömmlicher Beton, und werden schon dort eingesetzt, wo eine gute Korrosionsbeständigkeit gefragt ist. Derzeit sind diese Geopolymere jedoch deutlich teurer als herkömmlicher Beton, und auch ihre Verarbeitung auf der Baustelle ist weniger einfach. Geopolymere sind auch dazu geeignet, giftige Abfälle sicher einzuschließen und zu entsorgen.

Ein dritter Ansatz besteht darin, Beton durch andere, klimafreundlichere Baustoffe zu ersetzen. Insbesondere Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft bietet mehr Möglichkeiten, als man ihm bislang zugetraut hat (siehe „Holz statt Beton„). Im Gegensatz zu Beton ist Holz eine CO2Senke, und bietet darüber hinaus ein angenehmeres Mikroklima im Gebäude als Beton.

Klimaneutrale Chemie

Etwa 70 Prozent der CO2-Emissionen der chemischen Industrie entstehen bei der Produktion von nur sieben Primärchemikalien. Diese werden durch „Steamcracking“ bei Temperaturen um 850 °C aus Naphtha (einer Erdölfraktion, also einem Gemisch von Kohlenwasserstoffen) und Wasserdampf erzeugt. Die dazu verwendeten Öfen werden konventionell mit Erdgas beheizt. Hier ließe sich viel CO2 einsparen, indem man entweder elektrisch oder mit grünem Wasserstoff heizt.

Zwei weitere Grundchemikalien, Ammoniak (NH3) und Methanol (CH3OH), werden aus Synthesegas, einem Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, hergestellt, das durch „Steam Reforming“ aus Erdgas und Wasserdampf gewonnen wird (bei der Ammoniaksynthese kommt noch Stickstoff aus der Luft hinzu). Diese Verfahren lassen sich grundsätzlich auf grünen Wasserstoff umstellen; der Kohlenstoff für das Methanol käme dann aus CO2 aus der Luft.

Überhaupt bietet sich CO2, mit Wasserstoff reduziert, als Syntheserohstoff an (siehe „CO2 ist Rohstoff„). Kohlenstoff ist das vielseitigste aller chemischen Elemente und lässt sich dementsprechend zu vielen interessanten Materialien und Chemikalien verarbeiten. Man bekäme damit das überschüssige CO2 aus der Luft und wäre nicht mehr auf Erdöl als Syntheserohstoff angewiesen – zwei Fliegen mit einer Klappe! Dabei lohnt es sich, auf die belebte Natur zurückzugreifen, die dieses „Kunststück“ schon seit Jahrmillionen mit Bravour beherrscht, und Chemikalien durch Naturstoffe zu ersetzen. Dabei muss man freilich nachhaltig und umsichtig mt der Natur umgehen, denn das Potenzial ist begrenzt, und darf keinen Raubbau betreiben. Es lassen sich auch viele natürliche Stoffumwandlungen in vitro nutzen, etwa mittels Algen oder Bakterienkolonien, was oft die umweltfreundlichste Alternative darstellt und sich ohne allzu große Belastung der Natur im industriellen Maßstab durchführen lässt. Dieser Ansatz bietet gegenüber der herkömmlichen Chemie auch den Vorteil, dass man wegen der hohen Spezifität der biochemischen Vorgänge sehr reine Stoffe und weniger Abfallprodukte erhält.

Literatur

Castelvecchi, Davide. Mit Wasserstoff zu sauberem Stahl. Spektrum der Wissenschaft 07/2023, S. 47-53.

Tang, Verena. Kraftakt für die Industrie. Spektrum der Wissenschaft 07/2023, S. 42-46.

Tang, Verena. Der Umbau der Chemieindustrie. Spektrum der Wissenschaft 09/2023, S. 56-63.

Waldrop, M. Mitchell. Neuerfindung eines alten Baumaterials. Spektrum der Wissenschaft 08/2023, S. 60-67.

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