Was wird unser Jahrhundert bringen? Wir wissen es nicht. Es ist vieles möglich. Es kommt darauf an, ob konservative, reaktionäre oder progressive Kräfte den Ton angeben. Dem entsprechend kann man drei grobe Szenarien umreißen.
Szenario 1: Business as usual
In diesem Szenario gibt es keine große Trendwende. Alles läuft weiter wie gehabt. Die konservativen Kräfte dominieren weiterhin das Geschehen. Es wird weiter in erneuerbare Energien investiert und Anstrengungen gegen die Klimakrise werden unternommen, aber in unzureichendem Maßstab. Die Demokratien werden nicht abgeschafft, aber weiter ausgehöhlt, während die Demokratisierung in den derzeit von autoritären Regimes geprägten Weltregionen kaum bis gar nicht vorankommt. Die Macht verlagert sich von den gewählten Institutionen immer mehr auf Großkonzerne und unberechenbare Milliardäre; viele Entscheidungen werden nicht mehr von Menschen, sondern von zunehmend unkontrollierbaren Künstlichen Intelligenzen getroffen.
Es gibt keinen Dritten Weltkrieg, aber eine nicht abreißende Folge von Stellvertreterkriegen zwischen den Großmächten, vor allem im Globalen Süden, die Millionen von Flüchtlingen produzieren. Hinzu kommen Klimaflüchtlinge, denn das 2°-Ziel für das Weltklima wird verfehlt, im Jahr 2100 liegen die globalen Durchschnittstemperaturen um 3 bis 4 °C über dem vorindustriellen Niveau, zahlreiche gefährliche Kipppunkte werden überschritten. Die Weltwirtschaft gerät in eine lang andauernde Stagnationsphase, während die Schere zwischen Arm und Reich sich immer weiter öffnet. Die Gesellschaft im Jahr 2100 hat Ähnlichkeit mit derjenigen, die Cyberpunk-Autoren wie William Gibson (Neuromancer) schildern: High Tech, Low Life.
Seznario 2: Die Rückkehr des Krieges
In diesem Szenario kommen in immer mehr Ländern reaktionäre Kräfte an die Macht. Die Zahl der Demokratien reduziert sich drastisch, und die Geißel des Krieges kehrt nach Westeuropa zurück. Die neuen Machthaber leugnen das Klimaproblem, die „Reinhaltung der Rasse“ gewinnt Priorität. Die neuen Diktaturen führen offen gegeneinander Krieg. Es kommt zu einem Dritten und vielleicht noch zu einem Vierten Weltkrieg mit Einsatz von Massenvernichtungswaffen und Milliarden von Kriegsopfern.
Die Welt versinkt in ein unvorstellbares Elend. Die meisten Menschen haben keinen Zugang mehr zu moderner Technologie und fallen in vorindustrielle Lebensverhältnisse zurück. Viel Wissen geht verloren. Es gibt keine wirksame Medizin mehr. Die verbreitete Armut führt zu einem verstärkten Raubbau an der Natur. Dabei gerät das Klima völlig aus den Fugen, weil aus schierer Not Wälder abgeholzt werden und in ineffizienten Low-Tech-Feuerstätten viel Kohle und Erdöl verbrannt wird. Im Jahr 2100 ist es im Durchschnitt 5 bis 6 °C wärmer als vor dem Industriezeitalter. Das Eis in Grönland und der Antarktis schmilzt rapide, der Meeresspiegel steigt um etliche Meter. Der Golfstrom kollabiert. Die Zivilisation bricht zusammen. Es herrscht Endzeitstimmung: Low Tech, Low Life.
Szenario 3: Grünes Licht
In diesem Szenario dominieren die progressiven Kräfte das Geschehen. Die Demokratisierung der Welt macht Fortschritte, am Ende des Jahrhunderts sind Krieg und Diktatur Geschichte. Internationale Friedensinstitutionen wie EU und Vereinte Nationen werden gestärkt und zugleich demokratisiert Ein aus freien und fairen Wahlen hervorgegangenes Weltparlament wird eingerichtet. Die Macht der Konzerne und Superreichen wird eingegrenzt. Der Klima- und Umweltschutz wird ernsthaft vorangetrieben, und das Schlimmste kann verhindert werden. Die Wirtschaft wird rasch und vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt, und neue Technologien führen zu massiven Effizienzsteigerungen.
Die Menschheit bekommt den Klimawandel in den Griff, das 2°-Ziel wird eingehalten. Zwar lässt sich vieles nicht mehr reparieren, was an Ökosystemen Schaden genommen hat, aber der Schaden lässt sich begrenzen. Die Armut in der Welt geht zurück, im Jahr 2100 haben selbst die ärmsten Länder ein Lebensniveau erreicht, das in etwa demjenigen von Ländern wie Argentinien oder Polen im Jahr 2000 entspricht; die globale und auch die innergesellschaftliche Ungleichheit verringert sich. Die Weltwirtschaft ist auf Wohlstand statt Wachstum ausgerichtet, sie wächst noch dort, wo es noch an Wohlstand mangelt. An die Stelle des Strebens nach materiellem Lebensstandard tritt mehr und mehr das Streben nach einer ganzheitlich definierten Lebensqualität. Die Menschheit tritt in ein Zeitalter von Frieden, Freiheit und Wohlstand ein: High Tech, High Life.
Welches Szenario ist das wahrscheinlichste?
Es ist schwer zu sagen, welches Szenario das wahrscheinlichste ist. Derzeit scheint das Business-as-usual-Szenario das wahrscheinlichste zu sein, aber allerorten ist das Erstarken einerseits reaktionärer, andererseits progressiver Kräfte zu beobachten. Insofern kann man gegenwärtige Entwicklungen nicht linear in die Zukunft fortschreiben. Es liegt vor allem aber an uns allen, welchen Weg die Menschheit einschlägt. Insofern habe ich Hoffnung, dass die Menschheit „die Kurve kriegt“ und die Entwicklung sich dem Szenario „Grünes Licht“ annähert.
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