Es ist spät, aber nicht zu spät!

Grundfragen

In meinem letzten Post habe ich über Kommunikationsfehler der Nachhaltigkeitsbewegung geschrieben. Es gibt aber eine Art, über die Krise zu reden, die noch schlimmer ist als das schon stereotype „Wir müssen“. Das ist die Behauptung, dass es bereits zu spät sei, die Welt noch zu retten. Das hört man zum Glück nur selten, aber es ist die verheerendste Fehlkommunikation, die es gibt. Denn wenn alles zu spät wäre, gäbe es keinen Grund mehr, sich zu engagieren. Man könne ja eh nichts mehr retten.

Zweifellos ist schon viel kaputt gegangen, und vieles lässt sich nicht mehr reparieren. Selbst wenn es gelänge, den Treibhausgas-Gehalt der Atmosphäre wieder auf das vorindustrielle Niveau zu senken (etwa indem wir CO2 als Rohstoff nutzen), wäre nicht mehr alles wieder wie früher. Es sind Kipppunkte überschritten. Ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten, abgeschmolzene Gletscher kommen nicht wieder.

Aber wir können immer noch den Schaden begrenzen. Zweifellos ist es um so besser, je mehr Schäden wir vermeiden können. Noch sind viele bedrohte Arten nicht ausgestorben. Noch sind die Gletscher in den Alpen und anderen Hochgebirgen nicht verschwunden. Noch hat sich das Klima noch nicht so stark erwärmt, dass der Fortbestand der Zivilisation davon ernsthaft gefährdet wäre. Was wir noch haben, können wir größtenteils noch retten. Es ist also spät – aber nicht zu spät!

2 thoughts on “Es ist spät, aber nicht zu spät!

  1. Die Behauptung, dass es definitiv schon zu spät sei, ist selbstredend als Faktum falsch – genauso de facto falsch allerdings wie die Behauptung, dass es zwar spät – aber noch nicht zu spät sei – beides ist Spekulation – für beides gibt es hinreichend Belege, die Aussage zumindest für wahrscheinlich zu halten (wobei das „es ist bereits zu spät“ aus mehreren Gründen mir um Längen plausibler erscheint) …

    Und wirklich falsch ist die Aussage, dass die Aussage, dass es bereits zu spät ist, zwangsläufig dazu führt, dass es dann keinerlei Grund mehr für Engagement gäbe – schließlich wissen wir alle um unsere Sterblichkeit, ohne dass uns das zu abgrundtiefer, jahrzehntelanger Resignation verurteilt! Und selbst ein schwer krebskranker Patient muss nicht zwangsläufig in Depressionen verfallen, da die Palliativmedizin dem Patienten durchaus noch eine Zeitlang ein Leben mit einigermaßen Lebensqualität verschaffen kann – immer in die Hoffnung auf spätere Spontanheilung und/oder neue Medikamente (ich weiß als Betroffener, wovon ich rede!).
    Überhaupt haben Krebs und der Klimawandel/das Artensterben eine Menge gemein – beide entwickeln sich exponentiell – bei beiden ist, wenn es schließlich bemerkt wird, die Heilungswahrscheinlichkeit deutlich reduziert, weil das exponentielle Wachstum nun einmal die verheerende Wirkung schon lange entfaltet, bevor es sichtbar dramatisch wird (Bsp.: Seerose: setzt man eine einzelne Seerose in einen Teich dann sind am nächsten Tag schon 2 da – am übernächsten sind es bereits 4, dann 8, dann 16, usw. – benötigt nun die Seerose 30 Tage, um einen See nur halb zu zuwuchern – wie lange dauert es dann, bis der ganze Teich zu ist – (überraschende?!) Antwort: nur einen weiteren Tag – dabei geht es dem See nach 30 Tagen der Wucherung noch hervorragend!

    Eine Aussage wie „Was wir noch haben, können wir größtenteils noch retten.“ ist also deswegen schon grob fahrlässig, weil es eine positive Aussicht – und damit dem Empfänger der Botschaft eine falsche Sicherheit – suggeriert, die viel weniger motivieren ist als zu prognostizieren, dass es sehr wahrscheinlich bereits in 2 Generationen Schluss sein könnte mit der Menschheit, wenn nicht das Glück und ein dramatischer Wandel in der Gesellschaft passiert!

    Mit der Botschaft „Schadensbegrenzung noch möglich“ müsste zumindest schonungslos mit geliefert werden, was notwendig wäre, um das hinzubekommen …
    U.a. keine Urlaubsflüge, möglichst in Innenstädten kein Individualverkehr (dazu gehört auch die sog. Elektromobilität, die erst ab ca. 130.000 KM wirklich eine positive Umweltbilanz hat) – ganz viele Bequemlichkeiten müssen wir möglichst sofort dramatisch reduzieren/ersatzlos streichen – und selbst dann gilt immer noch: „Bremsweg 1 Jhd.“ – vom aktuellen Verzicht haben also frühestens die Enkel wieder eine stabile, sich nicht weiter verschlechternde Zukunft …
    Da bei diesem Gedanken die meisten „Engagierten“ bereits abspringen (nicht zuletzt, weil sie – wie beim Raucher auch – das langfristige Risiko zugunsten aktueller Vorteile gnadenlos unterschätzen) kann es um uns nicht gut, sondern eher wirklich dramatisch schlecht – mit einer ebenso dramatisch schlechten Prognose – stehen – der Kommunikationsfehler besteht als eher in dem Satz „Was wir noch haben, können wir größtenteils noch retten.“
    Wenn man dann auch noch den humanen Anspruch einer „globalen Gerechtigkeit“, die uns noch mehr Verzicht zugunsten der 6 Milliarden Sterbenden, die deswegen sterben, weil wir den Planeten bereits heute so heruntergewirtschaftet haben, aufbürdet, dürfte das „Engagement“ der meisten bereits heute endgültig zusammenschrumpfen auf einen Wert, der zum langfristigen Überleben (von Status Quo-Erhalt völlig zu schweigen) nicht reichen wird – das gilt für alle Studien zu diesem Thema – Angefangen vom Club of Rome, über Global 2000, „So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen – es ist so weit“, bis hin zum krachenden Scheitern des 1,5°-Ziels des Pariser Abkommens – wir wissen – naturwissenschaftlich – was zu tun wäre – wir werden offensichtlich – sozialwissenschaftlich – zu wenig und zu spät – wenn überhaupt – davon Gebrauch machen – woher also der Optimismus in dem Satz „Was wir noch haben, können wir größtenteils noch retten.“ – ich halte ihn für fahrlässig (s.o.)

    1. Das ist sicher nicht ganz falsch. Es gibt einerseits den „Mut der Verzweiflung“, der manche Menschen dazu bringt, sich für eine (scheinbar oder tatsächlich) aussichtslose Sache einzusetzen, andererseits den „Noch ist nicht alles verloren“-Optimismus, mit dem sich viele Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Aber ich denke, die gesündeste Haltung ist hier diejenige, die Sache als *ernst und dringlich* aber *nicht hoffnungslos* anzusehen, und genau das meine ich mit meinem Post. Die meisten Menschen sind eben weder bereit, für eine aussichtslose Sache zu kämpfen, noch für eine Sache, die ihnen nicht wirklich ernst scheint.

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